Auf dem Rücken der Patienten Transparenz verschärft Konkurrenz

Politik

Das Krankenhaustransparenzgesetz soll Lauterbachs Krankenhausreform durchsetzen. Mehr gesunde Konkurrenz bei der Versorgung der Kranken!

Am Heerdter Krankenhaus in Düsseldorf.
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Am Heerdter Krankenhaus in Düsseldorf. Foto: Jula2812 (CC-BY-SA 4.0 cropped)

15. Februar 2024
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Mit einem Paukenschlag hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach seine Krankenhausreform wieder ins Gespräch gebracht: „Es gibt grosse Qualitätsdefizite in unseren Kliniken“, so der Minister. Das Problem seien vor allem die kleineren Häuser, die komplexe Eingriffe nur selten und deswegen in suboptimaler Qualität ausführen würden. Dann zitierte er einen namentlich nicht näher benannten Wissenschaftler. Der habe jüngst in kleiner Runde gesagt, „einen grossen Krebseingriff in einer kleinen Klinik gönne ich meinem schlimmsten Feind nicht“ (SZ, 31.1.2024).

Mit dieser Äusserung wollte der Minister keineswegs die bisherige Gesundheitspolitik kritisieren, an der er wesentlich mitgewirkt hat, nicht zuletzt als gesundheitspolitischer Sprecher der früheren Regierungspartei. Vielmehr wollte er mit seinem Presseauftritt seine Krankenhausreform und das Krankenhaustranzparenzgesetz wieder ins Gespräch bringen. Zu seiner Unterstützung brachte er gleich eine Reihe von Professoren mit.

Es war ja etwas ruhig um seine diversen Gesetzesvorhaben geworden, die sich weitgehend im Getriebe des Gesetzgebungsverfahrens befinden und dort zum Teil auf Eis liegen. 2022 hatte die Süddeutsche Zeitung (7.12.2022) noch vom revolutionären Aufbruch unter dem neuen Minister gesprochen. Dabei war, klar, dass das in Auftrag gegebene Gutachten zur Reform der Krankenhausversorgung und die in Angriff genommenen Massnahmen keinen Ausstieg aus dem bestehenden profitorientierten System versprachen (vgl. Lauterbachs »Revolution«). 2023 kam dann „Die Krankenhausreform – zweiter Akt“. Im Gesundheitswesen sollte noch mal alles besser werden. Hauptsache – wie gehabt –, es ist kostengünstig!

Voran gehen soll es nun im Februar 2024 mit dem Krankenhaustransparenzgesetz, das im Vermittlungsausschuss zur Behandlung ansteht. Dabei erscheint das Anliegen des Gesetzes recht simpel: „Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) wird künftig zur Information der Bevölkerung und Aufklärung von Patientinnen und Patienten aktuelle Daten über das Leistungsangebot und Qualitätsaspekte des stationären Versorgungsgeschehens in Deutschland im Internet als ‚Transparenzverzeichnis' veröffentlichen.“ (Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Qualität der stationären Versorgung durch Transparenz – Krankenhaustransparenzgesetz) Warum dieses Vorhaben der Information der Bevölkerung – und das auch noch in „übersichtlicher Form und einfacher und verständlicher Sprache“ – umstritten ist und nicht einfach eine Selbstverständlichkeit darstellt, hat so seine Gründe.

Mehr Information mit Hintergedanken

Einfach nur die Bevölkerung darüber informieren, wo man im Krankheits- oder Verletzungsfall die passende Behandlung findet, will der Minister nicht: „Das Transparenzverzeichnis stärkt zudem einen Wettbewerb um mehr Qualität in der medizinischen Versorgung, in dem die Krankenhausstandorte die Leistungs- und Qualitätsdaten anderer Einrichtungen als eine Orientierung für eigene Verbesserungsmassnahmen nutzen können.“ Was der Minister da als Hilfestellung für Patientinnen und Patienten sowie für die Krankenhäuser vorträgt, soll die Konkurrenz um die Qualität der Krankenbehandlung unter den Einrichtungen befeuern. Ein seltsames Unterfangen – gehen doch Bürger in der Regel davon aus, dass Krankenhäuser immer bestrebt sind, auf bestmögliche Weise die Leiden der Patienten zu lindern!

Wenn es dazu eines Wettbewerbs bedarf, veranstaltet und angeheizt vom Bundesgesundheitsministerium, dann ist sich der verantwortliche Minister offenbar dessen bewusst, dass es sich bei den Krankenhäusern nicht einfach um Einrichtungen zum Wohle der Patienten handelt, sondern um etwas anderes: nämlich um Wirtschaftsunternehmen, die die Krankenbehandlung dazu benutzen (müssen), Geld zu verdienen. Es ist schliesslich das Werk der Gesundheitspolitik, Krankenhäuser dazu hergerichtet zu haben.

Die Spitäler sollen einerseits dafür sorgen, dass die Bevölkerung einigermassen funktionsfähig bleibt – sei es als Eltern, als Polizisten und Lehrer, als Arbeits- oder Pflegekräfte. Das ist keine einfache Angelegenheit angesichts der Tatsache, dass sie durch die Belastungen des Alltags in dieser Gesellschaft ständigen Schädigungen ausgesetzt sind. In der Debatte über die Work-Life-Balance ist das ja dauernd Thema, weil Work wenig Zeit für Life lässt und so das Privat- und Familienleben zum Stressfaktor werden lässt. Hinzu kommen die alltäglichen Schädigungen durch Stoffe wie Dioxin, Glyphosat oder Weichmacher, die im Verdacht stehen, krebserregend zu sein und denen kein Bürger entkommt. Deshalb haben es die Krankenhäuser überwiegend mit „Zivilisationskrankheiten“ zu tun, deren Folgen die Medizin lindern, aber meist nicht heilen kann (siehe: Suitbert Cechura, Unsere Gesellschaft macht krank - Die Leiden der Zivilisation und das Geschäft mit der Gesundheit, 2018, Tectum-Verlag).

Die Aufwendungen für die Gesundheit der Bevölkerung sind Kosten, die zwar überwiegend von den Betroffenen selber aufgebracht werden, jedoch auch die Gewinnrechnung der Unternehmen und den Staatshaushalt belasten und daher gering zu halten sind. Als Wirtschaftsunternehmen sollen die Krankenhäuser sowohl für eine brauchbare Gesundheitsversorgung sorgen als auch eine sparsame Verwendung der Mittel sicherstellen. Dazu soll die Bezahlung Anreize schaffen. Anreize haben es aber so an sich, dass diejenigen, die angereizt werden sollen, mit den dadurch gegebenen ökonomischen Chancen und Vorteilen kalkulieren.

Das hat, wie die Gesundheitspolitiker selber konstatieren,zu vielen überflüssigen Operationen und zur Sparsamkeit beim Einsatz des Pflegepersonals geführt. Deshalb braucht es eine Krankenhausreform, und auch das Transparenzgesetz soll dazu beitragen, dass die Anreize in die richtige, vom Minister gewünschte Richtung gehen.

Widerstand brechen: durch Blossstellen der Länder

Mit seinem Reformvorhaben zur Änderung der Krankenhausfinanzierung stösst der Minister auf Widerstand bei seinen Länderkollegen, die in seinem Reformvorhaben einen Angriff auf ihre Planungshoheit in Sachen Krankenhäuser sehen. Zwar sind sie sich mit ihrem Bundeskollegen weitgehend darüber einig, dass es in Zukunft weniger und spezialisiertere Häuser geben soll. Im Blick auf die Ausgestaltung bestehen allerdings Differenzen. Die Planung des Bundesministers für die Umgestaltung der Krankenhausfinanzierung sieht einheitliche Klassifikationen der Krankenhäuser mit definierten Leistungsbereichen vor, an die wesentliche Finanzierungselemente gekoppelt werden sollen. Dies hat für die einzelnen Bundesländer unterschiedliche Konsequenzen. Bevölkerungsreiche Länder wie Nordrhein-Westfalen (NRW) haben bereits ihre Krankenhausplanung durch die schwarz-grüne Regierung in Angriff genommen – analog zu den Planungen des Bundesgesundheitsministeriums. Flächenländer wie Mecklenburg-Vorpommern haben indes Bedenken, denn dort herrscht nicht eine so grosse Krankenhausdichte wie in NRW. Dort im Norden würde die Schliessung einzelner Kliniken zu ganz anderen Konsequenzen führen. Denn wenn die Leistungsbereiche eng definiert werden und die Kliniken möglichst hohe Fallzahlen aufweisen sollen, um solche Leistungsbereiche anbieten zu können, dann werden die Wege zu einer entsprechenden Klinik in ländlichen Regionen sehr lang.

Massstäbe, die das Ergebnis sicherstellen

Grundlage des Transparenzsystems des Gesundheitsministers ist nicht die Darstellung dessen, was ein Patient für die Behandlung bei einer entsprechenden Diagnose braucht und wo er diese Behandlung findet. Als Massstäbe für den Transparenzvergleich der Kliniken gibt der Minister die Kriterien seiner angestrebten Krankenhausreform vor. Diese unterteilt die Kliniken in drei Versorgungsstufen.

Die unterste entspricht im Wesentlichen der Qualität eines Pflegeheims mit ärztlicher Begleitung im Bereich der Allgemeinmedizin. Die zweite Stufe besteht aus Krankenhäusern mit mehreren Leistungsbereichen, wobei aus den 65 vorgegebenen Bereichen nicht jede Klinik alle anbieten kann, weil die Voraussetzungen dafür zu umfangreich sind. Die dritte Stufe umfasst die Universitätskliniken. Verglichen werden sollen die Kliniken daraufhin, in welchem Umfang sie diesen Kriterien entsprechen.

Ein Wettbewerb um die mehr oder weniger gute Zielerreichung unterstellt aber immer auch, dass es Gewinner und Verlierer gibt. Entscheiden will natürlich nicht der Minister, sondern seine Informationen sollen die Grundlage für die Entscheidung der Patienten bilden, die sich zur Behandlung in die eine oder andere Klinik begeben. So entsprechen in der Logik der Marktwirtschaft die Klinikstillegungen, die damit angepeilt werden, ganz den Wünschen der mit Krankheiten geschlagenen Kundschaft: Die will ja nichts lieber, glaubt man den offiziellen Ansagen, als eine ausgedünnte Kliniklandschaft und weitere Wege zur Behandlung bei Spezialisten.

Als Gütezeichen für eine Klinik gilt die Zahl der Behandlungsfälle. Dazu kann der Minister auf seiner Pressekonferenz auch Zahlen anführen: „Konkretes Beispiel: Würden sich fünf Prozent der Herzinfarktpatienten für ein gutes statt ein schlechtes Krankenhaus entscheiden, gäbe es laut Busse (Professor an der TU Berlin) pro Jahr 550 Todesfälle weniger. Bei Schlaganfallpatienten wären es 740 vermiedene Tote…“ (SZ 31.1.2024) Fragt sich nur, wie der Professor zu diesen Ergebnissen gelangt ist, die der Minister da vortragen lässt. Vermutlich wurden die Ergebnisse von Spezialabteilungen mit denen von Allgemeinkrankenhäusern verglichen. Das wäre dann eine Milchmädchenrechnung, weil es bei Herzinfarkt und Schlaganfall auf die Schnelligkeit der Hilfe ankommt. Und da spielen die Wegezeiten eine grosse Rolle, und da stellt sich die entscheidende Frage, ob die Patienten die Spezialeinrichtung dann noch lebend erreichen.

Unterstellt ist bei der Argumentation des Ministers, dass viele Behandlungen auch eine bestimmte Routine oder Fertigkeiten nach sich ziehen. Natürlich kann nicht jeder Chirurg, der einmal einen Blinddarm operiert hat, auch eine komplizierte Knieoperation durchführen. Dazu braucht es nicht nur eine besondere Qualifikation, sondern auch eine entsprechende Übung. Nur bezieht sich die Fallzahl als Qualitätskriterium nicht auf den Operateur, sondern auf die Klinik, in der mehrere Ärzte mit unterschiedlichem Geschick tätig sind. Wenn also eine hohe Fallzahl als Kriterium für eine gute Klinik gilt, dann hat der Minister nicht nur die Qualität der Behandlung im Auge, sondern auch den Rationalisierungseffekt, der mit einer hohen Fallzahl verbunden ist. Schliesslich lassen sich dann durch die Gestaltung der Behandlung wie am Fliessband – im Medizinerdeutsch Behandlungspfade genannt – Mensch wie Geräte stärker auslasten und so Kosten einsparen.

Als zweites Gütekriterium wird die personelle Ausstattung in Form von Fachärzten und Pflegepersonal pro Fallzahl dem Vergleich unterzogen. Der Minister weiss, dass seine Vorgaben für den Modus der Klinikfinanzierung immer auch einen Anreiz zum Sparen am Personal darstellen. Deshalb will er die Kliniken darin vergleichen, in welchem Umfang sie entsprechende Fachkräfte beschäftigen, um die Behandlung in den vorgegebenen Leistungsgruppen erfüllen zu können. Im Tranzparenzverzeichnis soll auch die Zahl der Komplikationen nach einer Behandlung aufgeführt werden, um die Patientinnen und Patienten so über die Güte der Behandlung einzelner Häuser zu informieren. Damit schafft er aber gleichzeitig einen Anreiz für die Krankenhäuser, ihr Patientengut darauf hin zu begutachten und zu selektieren, inwieweit bei der Behandlung Komplikationen entstehen könnten. Patienten mit vielen Krankheiten oder Alte haben da wohl schlechte Karten.

Patientenentscheidung zur Durchsetzung der Reform

Das Vergleichsvorhaben ist schon ein seltsames Anliegen. Der Minister unterstellt selbstverständlich, dass auch seine Länderkollegen genau kalkulieren, was sie sich die Gesundheit ihrer Bürger kosten lassen wollen, schliesslich sind sie an der Krankenhausfinanzierung beteiligt. Mit seinem Transparenzgesetz will Lauterbach seine Länder-Kollegen nun unter Druck setzen. Seinen Vergleichsmassstäben entsprechend würden Kliniken schlecht abschneiden, die weniger Fallzahlen aufweisen und weniger spezialisiert sind. Das träfe dann die Krankenhäuser in den Ländern, die den Massstäben des Ministers nicht folgen.

Dabei wird gleichzeitig unterstellt, dass viele Fälle eine gute Behandlung bedeuten. Ganz so, als ob eine Behandlung am Fliessband auch immer gute Ergebnisse erbringen würde. Diesem Massstab ist eben schon anzusehen, dass es möglichst um einen sparsamen Einsatz von Mensch und Material im Krankenhaus geht. Im Transparenzgesetz werden nun die Kliniken in Versorgungsstufen eingeteilt, je nachdem wie viele Leistungsbereiche sie anbieten können. Wird der Erfüllungsaufwand in Form von notwendigem Gerät und Personal für die Leistungsbereiche entsprechend der Vorstellung des Bundesministers strenger gefasst, können Kliniken vor allem auf dem Land nicht mehr so viele Leistungsbereiche anbieten, weil sie sonst die entsprechenden Fallzahlen nicht erreichen würden.

In seinem Transparenzgesetz hat der Minister die Berechnung der notwendigen Fallzahlen zudem weiter verschärft. Auch jetzt schon können nicht alle Kliniken alle Behandlungen anbieten, es sei denn sie weisen entsprechende Fallzahlen auf. Das hat dazu geführt, dass die Kliniken sich zu Verbünden oder Ketten zusammengeschlossen haben, um so die geforderten Fallzahlen zu erreichen.

Nun will der Minister die Fallzahlen standortbezogen berechnen. Das bedeutet: Sie werden auf das einzelne Krankenhaus bezogen und nicht mehr auf die Krankenhausgesellschaft mit ihren verschiedenen Häusern an verschiedenen Orten. Mit diesen strengeren Regeln will der Minister zudem erreichen, dass ein Zustand eintritt, in dem viele Krankenhäuser nicht mehr in der Lage sind, die geforderten Voraussetzungen an Geräten und Personal zu erbringen – und aus diesem Grund dann schliessen. Dazu sollen die Patienten mit ihrer Entscheidung für oder gegen eine Klinik beitragen und so ganz marktwirtschaftlich beweisen, dass einige der Einrichtungen sich nicht länger rechnen.

Auf diese Weise trägt dann die „Patientensouveränität“ zur Qualitätsverbesserung im Sinne des Gesundheitsministers bei - weniger Gesundheitsfabriken mit hoher Fallzahl und weite Wege zur Klinik für das entsprechende Leiden. Ganz im Dienste am Patienten.

Suitbert Cechura